Fährt man zu schnell und wird dabei geblitzt, sind die Folgen für die Betroffenen ärgerlich. Je nach Höhe der Geschwindigkeit kann es schnell teuer werden. Zudem droht ein Fahrverbot. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die „Geblitzten“ oft nach einer Ausrede oder Entschuldigung für die Geschwindigkeitsüberschreitung suchen. So auch ein Autofahrer, der mit 80 km/h durch eine Tempo-30-Zone fuhr. Er versuchte den Verstoß damit zu rechtfertigen, dass er seine (am Finger) verletzte Frau schnellstmöglich ins Krankenhaus fahren wollte. Ob er mit dieser Entschuldigung vor Gericht erfolgt hatte und ob bzw. in welchen Fällen Geschwindigkeitsüberschreitungen zu rechtfertigen sind, erfahren Sie hier:
Der konkrete Sachverhalt
Im konkreten Fall hatte sich die Ehefrau des Betroffenen beim Kochen mit einem Messer am Finger verletzt. Die Wunde habe so stark geblutet, dass sich der Ehemann dazu entschieden hatte, seine Frau selbst schnellstmöglich ins Krankenhaus zu fahren, statt einen Krankenwagen zu rufen. Begründend führte er in diesem Zusammenhang aus, dass seine Frau bereits einige Monate zuvor unter Unterleibsschmerzen gelitten hatte und der gerufene Rettungswagen erst 40 Minuten später am Haus der Familie eingetroffen war. Wegen des starken Blutverlustes hatte der Betroffene daher entschieden, nicht erneut eine derart lange Wartezeit zu riskieren. Zudem brachte er vor, dass er aufgrund der Verletzung „keinen kühlen Kopf“ behalten habe.
Rechtfertigung grundsätzlich möglich
Zunächst wies das Gericht drauf hin, dass eine Verletzung von Verkehrsvorschriften grundsätzlich durch das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt werden kann (§ 16 OWiG).
Voraussetzung dazu ist unter anderem, dass eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder andere Rechtsgüter vorgelegen hat. Dann muss der Betroffene den jeweiligen Verkehrsverstoß begangen haben, um diese Gefahr von sich oder einer anderen Person abzuwenden. Zudem dürfte die Gefahr anders als durch den Verkehrsverstoß nicht abwendbar gewesen sein.
Das ist nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf beispielsweise dann der Fall, wenn ein Taxifahrer eine hochschwangere Frau bei Einsetzen ihrer Wehen (unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) ins Krankenhaus fährt, weil er um ihr Leben und ihre Gesundheit besorgt ist. (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 1994, Az.: 5 Ss (OWi) 411/94 – (OWi) 211/94 I)
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in einem Beschluss dargelegt, dass auch dann ein rechtfertigender Notstand angenommen werden kann, wenn der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, weil er schnellstmöglich seine Notdurft verrichten musste. (Brandenburgisches Oberlandesgerichts, Beschluss vom 25.02.2019, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 41/19 (45/19))
Das Oberlandesgericht Düsseldorf verneinte das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes hingegen, wenn der Betroffene zur Rettung seines Wellensittichs die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 54 km/h überschritt. (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 18. April 1990, Az.: 2 Ss (OWi) 97/90 – (OWi) 30/90 II)
Keine Rechtfertigung der Geschwindigkeitsüberschreitung im konkreten Fall
Nach Ansicht des Gerichts konnte die begangene Geschwindigkeitsüberschreitung im vorliegenden Fall jedoch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die Frau des Betroffenen eine Verletzung am Finger hatte. Dabei fehle es an einer gegenwärtigen Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit. Durch die Verletzung sei weder der Tod der Frau zu befürchten gewesen, noch über die Schnittwunde hinausgehende Komplikationen. Dafür spricht im konkreten Fall insbesondere, dass die Wunde nicht in der Notaufnahme versorgt wurde, sondern beim Ärztlichen Bereitschaftsdienst. Zudem bedurfte es keiner operativen Behandlung.
Weiterhin wies das Gericht darauf hin, dass das Vorliegen einer Gefahr aus der Sicht eines sachverständigen Beobachters zu beurteilen sei. Ob der betroffene Fahrer durch die Verletzung seiner Frau „kopflos“ agiert hatte, sei daher irrelevant.
Letztlich führte der Richter aus, dass, selbst wenn man das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr bejahen würde, die Gefahr durchaus anders abwendbar gewesen wäre. So hätte der Betroffene den Krankenwagen rufen können, um seine Frau medizinisch versorgen zu lassen. Dies wäre ihm, auch trotz der vorhergehenden langen Wartezeit auf den Rettungswagen, zumutbar gewesen.
Den Fahrer erwarteten daher eine Geldbuße in Höhe von 235 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot. (Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 10. März 2020, Az.: 971 OWi 955 Js-OWi 65423/19)