Kreuzungen, bei denen das Gebot „rechts vor links“ gilt, sind oft unübersichtlich und schwer einsehbar. Daher kommt es an diesen Kreuzungen besonders häufig zu Unfällen. Grundsätzlich haftet in solchen Fällen der von links kommende Wartepflichtige zu 100 Prozent. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Vorfahrtsberechtigte eine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Im Folgenden stellen wir Ihnen einige Konstellationen vor, in denen eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten in Betracht kommt.
Der sogenannte “Vorfahrtsverzicht”
Der Vorfahrtsberechtigte könnte den Anschein erweckt haben, auf sein Vorfahrtsrecht zu verzichten. Dies ist in der Praxis allerdings oft nur schwer nachweisbar. Der Wartepflichtige müsste beweisen, dass der von rechts Kommende den Vorfahrtsverzicht durch sein Verhalten deutlich gemacht hat (beispielsweise durch Handzeichen). Eine verringerte Geschwindigkeit vor der Kreuzung reicht hier als Indiz nicht aus.
Irreführendes Blinken
In solchen Konstellationen setzt der Vorfahrtberechtigte den Blinker in eine bestimmte Richtung, biegt jedoch in eine andere Richtung ab. Kommt es dadurch zu einer Kollision, kommt eine Mithaftung in Betracht. Auch hier muss der Wartepflichtige beweisen, dass der Vorfahrtsberechtigte tatsächlich „irreführend geblinkt“ hat. Das ist in der Praxis jedoch meist schwierig und gelingt beispielsweise nur dann, wenn der Vorfahrtsberechtigte diesen Umstand einräumt oder wenn das Blinken bei der Unfallaufnahme von der Polizei festgestellt und notiert wurde.
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
Eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten kommt außerdem dann in Betracht, wenn dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. Auch hier trägt der Wartepflichtige die Beweispflicht, beispielsweise mittels eines unfallanalytischen Gutachtens. Zusätzlich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung kausal zur Kollision beigetragen haben. Wäre es auch bei ordnungsgemäßer Geschwindigkeit zu dem Unfall gekommen, scheidet eine Mithaftung aus. Hat sich das zu schnelle Fahren jedoch tatsächlich kausal auf die Kollision ausgewirkt, haftet auch der Vorfahrtsberechtigte.
Eine vollstände Haftung wird beispielsweise bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 – 40 km/h innerorts angenommen. Eine 50-prozentige Haftung wurde bei einer Überschreitung von 28 km/h innerorts bejaht.
Die sogenannte “halbe Vorfahrt”
Die Regelung der „halben Vorfahrt“ greift in der folgenden Konstellation: Ein Fahrer hat gegenüber einem von links kommenden Fahrzeug Vorfahrt, ist jedoch gegenüber einem von rechts kommenden Auto wartepflichtig. An unübersichtlichen Stellen hat der Fahrer daher die Pflicht, vorsichtig an die Kreuzung heranzufahren und sich zu vergewissern, dass sich von rechts kein Fahrzeug nähert. Kommt es nun zu einer Kollision mit einem von links kommenden Fahrzeug, ist eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten unter folgenden Voraussetzungen möglich:
- Der Fahrer hat seine Sorgfaltspflicht verletzt und sich der Kreuzung nicht vorsichtig oder langsam genug genähert.
- Es handelt sich um eine unübersichtliche Kreuzung.
- Der Unfall wäre vermieden worden, hätte der Vorfahrtsberechtigte seine Sorgfaltspflicht erfüllt.
In solchen Fällen besteht eine Mithaftung von 25 Prozent.